Am 29. April 2020 beschloss die Ratsversammlung der Stadt Leipzig ein Hilfsprogramm für gewerblich, freiberuflich und künstlerisch Tätige. Es soll damit eine Förderlücke geschlossen werden, um denjenigen zu helfen, die einen Liquiditätsengpass durch die Beschränkungen der Corona-Pandemie erleiden. Das Programm unterliegt einem inhaltlichem Irrtum und wird seine Ziele nur bedingt erfüllen können.

Mit Beschluss der Ratsversammlung der Stadt Leipzig wird ab dem 15. Mai 2020 für Solo-Selbstständige ein neues Sonderhilfeprogramm zur Verfügung stehen. Damit soll den betroffenen Solo-Selbständigen eine Hilfe gewährt werden, um private Liquiditätsengpässe durch ausfallenden Unternehmerlohn zu kompensieren und Lebenshaltungskosten abzudecken.

Was wurde von der Ratsversammlung im Kern beschlossen?

Betroffene Leipziger Solo-Selbstständige sollen nicht darauf verwiesen werden, Arbeitslosenhilfe zu beantragen. Eine Berufstätigkeit soll fortgeführt werden. Insgesamt können 2.500 Anträge bewilligt werden.

Es werden nicht rückzahlbare Zuschüsse zur Überbrückung des ausfallenden Unternehmerlohnes in zwei Monaten von bis zu 2.000 Euro für Lebenshaltungskosten gewährt. Ausnahmsweise können bereits Kosten anerkannt werden, die zeitlich bereits nach der Veröffentlichung des Programms nach Beschlusslage im Amtsblatt entstanden sind.

Eine Kombination mit anderen betrieblichen Förderprogrammen ist erwünscht. Damit sinkt die Hilfebedürftigkeit. Der Antragsteller ist daher verpflichtet, die anwendbaren Zuschussprogramme des Bundes und des Landes vorrangig in Anspruch zu nehmen.

Doppelförderung ist nicht möglich. Sollten sich die Antragsteller entscheiden, nach Gewährung des städtischen Zuschusses im Leistungszeitraum Arbeitslosengeld zu beantragen, sind die Leistungen der Stadt (anteilig) zurückzuzahlen.

Das Programm kann zu größeren Existenznöten der Solo-Selbstständigen beitragen

Die Zielstellung der Vorlage VII-DS-01126-DS-01 ist irritierend, da sie Leistungsbezug aus den aktuellen sozialen Sicherungssystemen für Selbstständige vermeiden soll und den weit verbreiteten Irrtum unterstützt, dass sich gewerblich, freiberuflich und künstlerisch Tätige arbeitslos melden müssen, was nicht stimmt. Die von der Corona-Pandemie betroffenen Solo-Selbstständigen und Selbstständige im Allgemeinen haben auf Arbeitslosenhilfe nach SGB III  keinen Leistungsanspruch, wenn Sie nicht in die Arbeitslosenversicherung mindestens ein Jahr lang eingezahlt haben. In der Regel schließen Selbstständige dieser Berufsgruppen keine freiwillige Arbeitslosenversicherung ab, wenn diese laut den Kriterien der Deutschen Rentenversicherung von der Sozialversicherungspflicht befreit sind. (und auch nicht nach SGB I wie in der Vorlage benannt)

Die Bundesregierung hat im Sozialschutz-Paket vom 27. März 2020 lediglich Regelungen für Kurzarbeit im SGB III angepasst, die Anliegen der betroffenen Selbstständigen im SGB II verbessert. Zum Verständnis ist es wichtig zu wissen, dass die Bundesregierung mit dem „Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung aufgrund des Coronavirus-SARS-CoV-2“ einen pragmatischen und schnellen Weg gewählt hat, indem sie bereits vor der Krise bestehende Sozialsicherungssysteme für Selbstständige nach SGB II jetzt gestärkt hat. Leider wird das so genannte „Arbeitslosengeld II“ immer wieder mit Arbeitslosenhilfe nach SGB III oder Sozialhilfe nach SGB XII verwechselt. Es ist flexibel einsetzbar und kann beispielsweise auch andere Leistungsansprüche von Arbeitnehmern wie den Fehlbetrag zwischen Kurzarbeitergeld in der Krise und Normaleinnahme vor der Krise ergänzen und somit für Verwirrung sorgen. Deshalb sollte jeder wissen, dass das Arbeitslosengeld II im Wesentlichen als allgemeine „Grundsicherung für Arbeitssuchende und Grundsicherung für Selbstständige“ ein gesetzlich vorgeschriebenes Existenzminimum definiert, schon vor der Krise. Bund stärkt die Grundsicherung für in Not geratene Selbstständige.

Eine zweimonatige Unterstützung der Stadt Leipzig liegt mit 1.000 Euro für einen Monat unterhalb der „Grundsicherung für Selbstständige“, das der Unternehmerlohn im Vollerwerb mindestens abdecken sollte. Falls er dies nicht tut, hatte jeder Solo-Selbstständige bereits vor der Krise mit der „Grundsicherung für Selbstständige“ eine soziale Absicherung und zusätzliches Geld für Lebenserhalt – es ist nicht wie es in der Ratsversammlung geäußert wurde nur ein Auffangbecken für gescheiterte Selbstständige. Aufgeben müssen Sie ihre Selbstständigkeit dafür nicht, Einnahmen können bis zu einer Höhe bedingungslos unter Berücksichtigung der laufenden Betriebsausgaben erzielt werden. Es bestehen keine Eingliederungsvereinbarungen oder damit verbundenen Sanktionen. Arbeitslosengeld-II-Empfänger dürfen selbstständig tätig sein. Umgekehrt können hilfsbedürftige Unternehmer und Freiberufler ALG II erhalten.

Warum soll die „Grundsicherung für Selbstständige“ vermieden werden, wenn der Solo-Selbstständige im Grunde und in der Höhe nach, eine tatsächliche Anerkennung der Kosten für Lebenshaltung wie Miete inklusive Heiz- und Nebenkosten, Krankenkasse in voller Höhe und Regelbedarf insgesamt über 1.000 Euro bekommen kann? Die verbesserte Grundsicherung kann seit März 2020 als Überbrückung in Anspruch genommen werden. Für die letzten zwei Monate sind dem betroffenen Solo-Selbstständigen im Vollerwerb Beträge in Höhe von mehr als 2.000 Euro entgangen und haben somit Liquiditätsnöte vergrößert. Es ist im Grunde nach möglich, Kosten bis Ende des Jahres aus Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen in dem Leistungszeitraum vorzuziehen, mit der Soforthilfe des Bundes abzurechnen und mit der „Grundsicherung für Selbstständige“ zu überbrücken.

Der Ausschluss der Doppelförderung und die Programminhalte, mit dem Ziel, sich nicht in der „Grundsicherung für Selbstständige“ abzusichern vergrößert die finanzielle Not, wenn dieses „Hilfsprogramm für Solo-Selbstständige“ keine gleichwertigen Konditionen für gewerblich, freiberuflich und künstlerisch Tätige im Vollerwerb anbietet.

Den Anspruch, eine Förderlücke zu schließen, erfüllt dieses Programm nur für bestimmte Solo-Selbstständige. Eben diese, die aufgrund von einem bestehendem Vermögen in Höhe von 60 T€ bzw. in einer Ehe 90 T€ derzeit keinen Leistungsanspruch auf „Grundsicherung für Selbstständige“ haben oder ihre private Kostensituation unterhalb von 1.000 Euro im Monat liegt oder noch Nebeneinkünfte erzielen können und abwarten wollen.

Die Auszahlung von Hilfen an Leipziger Solo-Selbstständige steht in Konkurrenz zu anderen allgemeinen und besonderen öffentlichen Aufgaben der Stadt Leipzig in der Corona-Krise. Die Existenzgrundlage der betroffenen Solo-Selbstständigen ist höchstwahrscheinlich für eine komplette Saison bzw. mehr als 2 Monate entzogen. Jeder Monat des Abwartens erhöht Existenzangst und finanzielle Not. Einnahmeausfälle werden mit Steuergeld finanzierten öffentlichen Förderprogrammen nicht ausgeglichen, so dass es Not tut, private von betrieblichen Anliegen zu trennen.

Rede der Stadtratsfraktion in der Ratsversammlung vom 29. April 2020, Claus-Uwe Rothkegel.
2020-04-29_VII-DS-01126-DS-01_Ratsversammlung_Programm-Solo-Selbstständige_Beschluss

Hier finden Sie weiterführende Informationen:
FAQ-Liste zu Grundsicherung für Selbstständige in der Corona-Pandemie
Corona-Grundsicherung / Bundesagentur für Arbeit / Jobcenter Leipzig
Merkblatt für Selbstständige Anlage EKS
Sozialgesetzbuch SGB II § 16c
Sozialschutz-Paket vom 27. März 2020